«Die Nase weiss Dinge, die der Verstand nicht kennt» Blaise Pascal (1623 – 1662)

Iris Germanica

Le Nez, die Nase, das ist die sehr berühmte Skulptur von Alberto Giacometti, dem weltbekannten Bergeller Künstler. Sie steht im Kunstmuseum Basel. Man kann lange darüber nachdenken, was sie Alles ausdrücken kann. Vielleicht die Nase, neugierig weit hinaus den Duft der grossen weiten Welt erschnuppernd, der Lüfte aus Wäldern, Städten oder vornehmen Gesellschaften und ihren Parfüms. Einfach Wunderbares. Und so neugierig, dass sie ihren Riecher in Dinge hineinsteckt, die sie nichts angehen. Da Düfte und Gerüche oft nicht so klar zu definieren sind oder woher sie kommen, gibt es aus den Gerüchen leicht Gerüchte – etwas Hässliches. Oder ist Le Nez staunend die vielen Nischen in unserer Natur erkundend, mit den betörenden Düften der vielen Blumen oder geheimnisvollen Parfüms der Tiere? Gerüchen kann man sich kaum entziehen und oft sucht man lange deren Quelle, fragt man sich nach was. «Nach was», Gerüche haben ja keine eigenen Namen und wir vergessen ihre Verwandtschaften mit Pflanzen, Pilzen leicht wieder. Gerüche haben keine klare Definition wie die einer Farbe. Selbst Töne sind klarer erkennbar und benennbar. Wir sagen bei Düften in der Regel, das und jenes rieche nach …… .

le nez Alberto Giacomett; Kunsthaus Basel

Im Frühling und Frühsommer duften die Monate schon ihrem Namen nach: Mai, Juni, Juli mit Maiglöckchen Parfüm, Primula veris, geheimnisvoll schwer, Schwarzdorn, der selten gewordene Seidelbast, die Rosskastanien, Lindenbäume mit ihren Düften für Liebende und im Hochsommer der Thymian. Also suchen wir nun mal mit unserer Nase nach ein paar heimischen Düften und ihren Quellen.

Bei Gedanken an den Frühling rieche ich den intensivsten aller Veilchendüfte, den von Viola odorata. Es sind Erinnerungen, als ich Kind jeweils zwei, drei Wochen lang ganz stolz ein paar dieser dunkelvioletten Blümchen nach Hause brachte.

Viola odorata
Wohlriechendes Veilchen

Das Veilchen ist eine oft besungene Blume mit weiter Symbolkraft von unschuldiger Liebe, Bescheidenheit und auch Verführungskünsten. In der Parfümerie gehört es zu den erogenen Düften. Viola odorata wird in Südwesteuropa gezüchtet und liefert Veilchenblütenöl, eines der teuersten ätherischen Stoffe. Von 1000 kg Blüten gibt es 150 g zwei Komponenten enthaltendes Veilchenblütenöl. Die eine Komponente rieche man noch in einer Verdünnung von 7g in hundert Milliarden Liter Luft 1. Das würde einige Kathedralen von Einsiedeln oder St. Gallen mit Duft erfüllen.

Die Veilchen aus meinen Erinnerungen kann man nicht mehr pflücken. Sie sind nicht mehr dort; aber nicht wegen mir. Sie sind wie auch an vielen anderen früheren Standorten in unserer Region in den letzten Jahrzehnten allmählich verschwunden.

In unserer Blumenwelt verströmen viele Pflanzenarten ihr Parfüm, ohne dass wir sie beachten. Im Frühsommer blüht auffällig und doch oft übersehen das Gelbe Labkraut (Galium luteum) an trockenen Borden in grösseren Beständen. Wer kennt deren Duft schon. Nur drei, vier Pflanzen in einem Wohnraum eingestellt erzeugen einen intensiven Duft von Honig, ein bisschen schwer vielleicht – probieren Sie das mal aus. Die verwandten vielen weissen Labkräuter riechen kaum. Auf einigen Alpen haben sie früher zum Starten der Herstellung von Käse beigetragen. Wie der Name Labkraut sagt, können etliche Arten die Milch zum Gerinnen bringen und sind so am Anfang der Entstehung eines geruchlich und geschmacklich besonderen Produktes gestanden. Seit dem 16. Jahrhundert in vielen Gebieten in der Schweiz  das» Chäslabkraut» genannt. Am Kindbett waren die getrockneten Pflanzen früher auch Teil des Bettstrohs zum Schutze von Mutter und Kind.

Echtes Labkraut
Galium luteum

Eine beachtlich grosse und schöne Pflanze am Rande von feuchten Wiesen, in Mooren und Bachrändern ist die prächtige Moorspierstaude (Filipendula ulmaria); oft wenig beachtet.  Ihre weiss leuchtenden Blütenstände verströmen einen fein süsslichen Duft. «Mädesüss», «Maidensüss» ist der passendere Name, der aber nichts mit Maiden, Mädchen zu tun hat. Echtes Mädesüss, Queen oft the meadows, reine des prés vielleicht die Pflanze, die auf feuchten Mähwiesen wächst und lieblich duftet; die häufigste Erklärung des Namens

Frühjahr bedeutet bei vielen Tieren Aufbruch, Drang zum Liebesleben. Im Tierreich werden Verhalten und Sexualität in einer Tierart neben optischen Signalen besonders stark durch arteigene Gerüche gesteuert. Solche Botenstoffe werden Pheromone genannt. Bei der Herstellung von Parfüms werden manchmal für bestimmte Noten eines Duftes Pheromone, Botenstoffe, vonTieren verwendet. Bekannt sind Amber von Pottwalen, Moschus von den männlichen Moschus oder der Zibetkatze. Diese Stoffe werden heute künstlich produziert. Weniger bekannt ist das Cire d’abeille absolue. Das ist ein Erzeugnis aus Bienenwachs. Womit wir wieder in unseren heimischen Gefilden sind und so bei unserem neuen Rückkehrer in der Tierwelt, dem Biber. Beide Geschlechter erzeugen zur Paarungszeit ein Sekret mit den Afterdrüsen, das Castoreum oder Bibergeil. Das ist noch heute ein verwendeter Stoff für einen warmen animalischen Hintergrund in einem Parfüm. In Europa wurden früher die Biber wegen ihres Felles und des Bibergeils sehr stark bejagt.

Filipendula ulmaria, Moor Spierstaude, Mädesüss

 In Kanada ist die Bejagung zum Schutz bestimmter Wälder offenbar auch heute noch notwendig und erlaubt.

Wie bei den Tieren mögen bestimmte Individuen bei den Menschen unbewusst mit Körperdüften kommunizieren. Sie mögen sich riechen oder auch nicht, Parfum hin oder her, animalisch vielleicht doch. Das ist immer noch ein nicht ganz geklärtes zwischenmenschliches Geheimnis und ist Thema in vielen weltberühmten Romanen.

Unter den neueren literarischen Werken ist Patrick Süsskinds Roman «Das Parfum» besonders erwähnenswert. Die Düfte für Menschen und von Menschen sind die Geschichte vom genialen und kriminellen Parfum KreateurJean-Baptiste Grenouille, selbst ein unscheinbarer Mensch und ohne eigenen Körpergeruch

Feine Nasen von Naturfreunden und Naturfreundinnen würden den Unterschied von verschiedenen Ackerböden oder Waldböden blind erriechen können.

Woher stammt der so wohltuend angenehme Duft des Bodens eines Föhrenwaldes, der mit seinen Parkanlagen ähnlichen Raumstruktur zum Verweilen und zum Picknicken einlädt?

Verschiedene Mikroorganismen sind daran beteiligt. Ein bedeutsamer Anteil für den feinen Geruch ist es eine Gruppe der Streptomyceten. Der Wortstamm zu «Myceten» kommt von Mycel, das ist das Pilzgeflecht. Strepromyceten sind aber Bakterien. Sie kopieren als Bakterien die fädige Wuchsform von Pilzen, eben das ein Mycel. Das hat für diese Gruppe von Bodenbakterien den Vorteil, wie ein Pilz den Boden durchwuchern zu können. Mit der Ausscheidung von bioaktiven Substanzen wehren sie sich gegen Nahrungskonkurrenten. Ein paar Stämme von Streptomyceten produzieren ein in der Medizin angewendetes Antibiotikum: Streptomycin.

Streptomyces, Bodenpilz ohne Ständer; Aufnahme mit Rasterelektronenmikroskop (Hans Conrad)

Mit allen Sinnen wandernde Menschen mögen sich an den Farben der Bergblumen und deren Düften erfreuen. Nicht immer gross müssen die bewunderten Blumen sein. Bei einer Wiese mit vielen kleinen braun-violett-roten Köpfchen aus 20 – 50 kleinen Blüten

bleiben viele stehen und beugen sich zu ihnen hinunter, um deren betörenden Duft zu geniessen. Schokolade mit Vanillefond: Männertreu (Nigritella rhellicani). Die chemische Analyse des Duftes ergibt 47 verschiedene Komponenten 2. Während die Hauptkomponente in Rosenblättern vorkommt, erinnern andere in Spuren vorkommende Anteile des Duftes stark an Kakao und Vanille. Das zeigt uns, dass nicht die Menge einer Komponente, wie etwa nur eine Spur von Vanillin, bedeutsam sein muss, sondern wie unsere Nase bestimmte Düfte wahrnehmen kann.

Die Langspornige Handwurz (Gymnadenia conopsea) ist wie das Männertreu eine Schmetterlingsblume und riecht ebenfalls wunderbar. Diese Orchidee ist die variabelste in Gestalt und in Geruch von allen unseren Orchideen. Die Hauptkomponente des Duftcocktails ist  im Jasmin enthalten. Es sind wiederum viele Stoffe in kleinsten Mengen, die das Parfüm nicht als Jasmin verwandt erscheinen lassen. Die beiden Arten kreuzen sich selten mal und bilden eine neue Art (Gymnigritella suaveolens 2) mit karminroten Blüten, die in der Gestalt von Beiden etwas hat und die Geruchskomponenten beider Eltern in sehr schöner ausgewogener Weise zur Geltung bringen.

Vanillin im polarisierten Licht

Vanillin kommt bei unseren Orchideen auch bei der Wohlriechenden Handwurz (Gymnadenia odoratissima) vor. Das intensive Parfüm dieser kleinen in den Alpen vorkommenden Orchidee ähnelt dem Männertreu sehr. Vanillin wird künstlich seit 1874 aus Holzabfällen produziert, heute billiger als damals. Für Vanillin interessiert sich auch die Weinkennernase, vor allem bei Weinen, die lange in Eichenfässern gelegen haben (Barrique). Vanillin ähnliche Substanzen sind wichtige Bausteine im sehr komplizierten Lignin, dem Holzstoff, und wird bei der Kelterung im Eichenfass aus dem Holz heraus «gelöst». Vanillin: Fast Alles Holz! Die Produzentin des natürlichen Vanillins, Vanilla planifolia, ist die einzige Orchideenart von grosser wirtschaftlicher Bedeutung.

BIBER
Schwarzes Männertreu
Wachholder; weibliche Pflanze
Daphne striata; Steinröschen

Manchmal sind «sie» so schön, dass kein ausserordentlicher Duft ihre Zierde vergrössern könnte: Das sind die Iris Arten, mit dem schweren deutschen Namen Schwertlilie. Unsere blaue Iris germanica kommt bis nach Griechenland vor und dort haben schon im Altertum griechische Naturphilosophen ihr den Namen Iris, «Regenbogen», gegeben. Fündige Chemiker haben die Wurzelknollen (Rhizome) von Iris gemanica, florentina und pallida als Geheimnis feiner Düfte entdeckt, für Irisöl: Dem Chic der Haute Couture. Diesen «Chic» konnte man bis in die Fünfzigerjahre im Sarganserland bewundern. Von den vielen grossen Iris Beständen ist leider nichts mehr übriggeblieben. Man kann sie heute noch in Liechtenstein und im benachbarten Österreich besuchen.

Fast so wie bei der Iris muss man sich den Düften des Wachholders (Juniperus communis) etwas auf Umwegen nähern. Der Wachholder kommt in verschiedenen Wuchsformen im ganzen Alpenraum vor. In den Alpen kann man gut beobachten, wie der Wachholder an den sonnigen Südlagen und an starken Temperaturwechseln ausgesetzten Stellen wächst. Er verträgt strenge Fröste und grosse Hitze. Ein paar Meter weiter an Standorten mit Schattenlage und langer schützender Schneebedeckung kann man schon die Alpenrose antreffen. In schönen Wachholderbeständen mit den vielen Alpenpflanzen darin riecht man im Sommer richtig « Berg» « Alpen». Von Bedeutung ist die «Beere» der weiblichen Wacholdersträucher als Duft- und Aromaträger in verschiedenen Speisen. Der Wachholder gehört in die enge Verwandtschaft der Nadelhölzer. Um eine Beere handelt es sich deshalb nicht wie etwa bei einer Johannisbeere. Den Unterschied zwischen beiden sieht man gut. Im Vergleich zu einer kleinen, jungen, frischen Tannzapfenblüte sind bei der Wachholderblüte nur wenige Schuppen vorhanden, die sich dann zur Samenreife zusammenschliessen und eine fleischige Scheinbeere, eine Zapfenbeere bilden. Mit der Wasserdampfdestillation kann man aus den getrockneten Zapfenbeeren ein Öl gewinnen. Um den Duft der Essenz kennenzulernen, muss man nur dem richtigen Glas die Nase nähern.  Es ist alles darin enthalten: die bittere Süsse, leicht an Ambra und Fichtennadeln erinnernd, eine etwas grüne Note, so richtig eine Wildfrucht. Klar, Sie riechens Prosit Gin-Gin

Iris , die königliche Blume

1 Düfte; Günther Ohloff; WILEY-VCH

2 Der Duft der Orchideen; Roman Kaiser, ehemaliger Duftforscher und Parfümeur bei Firmenich Genf; 1993 Editions Roches